06.12.2011 / Ausland / Seite 8Inhalt
»Das hat uns auf die Straße getrieben«
Griechenlands einzige pluralistische linksliberale Tageszeitung Eleftherotypia (Pressefreiheit) steht vor dem Aus. Ein Gespräch mit Panos Sokos
Interview: Heike Schrader, AthenPanos Sokos vertritt die Journalisten im Belegschaftskomitee der Eleftherotypia
Es gibt 20 Tageszeitungen in Griechenland. Was ist das Besondere an der Eleftherotypia?
Die Eleftherotypia wurde 1975, ein Jahr nach dem Fall der Militärdiktatur, als selbstverwaltete Zeitung gegründet. Es gab zwar einen Herausgeber, aber der hatte seine Zuständigkeiten dem Redaktionskomitee übertragen. Der Versuch scheiterte, so daß nach etwa zwei Jahren der Herausgeber das Heft übernahm. Die Autoren behielten aber ihre Autonomie, namentlich gekennzeichnete Artikel wurden ohne jede Intervention abgedruckt. Die Eleftherotypia ist bis heute ein pluralistisches Blatt, das Autorenmeinungen druckt, auch wenn sie der offiziellen Linie der Zeitung widersprechen. So etwas gibt es nur einmal in Griechenland. Zudem ist sie die einzige Zeitung, in der Stimmen aus den Bewegungen, von der linken Mitte bis zur radikalen Linken zu Wort kommen. Auch ökonomisch ist sie ein Sonderfall, die meisten anderen Medien in Griechenland gehören Reedern, Bauunternehmern oder Industriemagnaten.
Wie ist die Zeitung in die heutige Krise geraten?
Es sind Fehler bei der wirtschaftlichen Verwaltung und im Management gemacht worden. Über viele Jahre hinweg wurden zwar Arbeitsplätze geschaffen, aber ohne jeden Wirtschaftsplan. Dann kam die ökonomische Krise und die Verkaufszahlen, aber vor allem die Werbeeinnahmen sanken drastisch. Wir haben heute 60 bis 70 Prozent weniger Einkünfte als vor zwei Jahren. Die Ausgaben aber blieben in etwa dieselben, was jetzt dazu geführt hat, daß alle 870 Mitarbeiter seit August nicht bezahlt worden sind. Die Zeitung sucht nach einem Darlehen. Wenn sich keine Bank findet, wird dichtgemacht.
Damit steht die Eleftherotypia aber doch nicht allein?
Insgesamt geht es ihr nicht schlechter als den anderen großen Zeitungen, die von gleichen Einbrüchen bei den Einnahmen betroffen sind. Sie ist aber aus politischen und Wettbewerbsgründen das schwächste Glied in der Kette. Die Eleftherotypia ist die einzige Zeitung der sogenannten bürgerlichen Presse, die seit anderthalb Jahren gegen die Austeritätspolitik anschreibt. In gewisser Weise läßt sie sich also nicht vom System vereinnahmen. Das stört sicherlich.
Wie reagierte die Belegschaft?
Bis vor etwa einem Monat haben alle auf ein sicher geglaubtes Darlehen gewartet. Als das aber dann doch nicht kam, waren die seit dreieinhalb Monaten unbezahlten Leute an ihrer Grenze angelangt. Viele vermuteten, daß uns nicht die Wahrheit gesagt wird, daß Geld vorhanden ist, die Eigner es aber nicht rausrücken. Das hat uns dann auf die Straße getrieben. Letzte Woche standen wir drei Tage im Streik, eine Woche vorher gab es einen zweitägigen und vor einem Monat einen eintägigen Streik. Das ist die stärkste Mobilisierung bei einer großen Zeitung hier seit vielen, vielen Jahren.Es gibt eine Reihe von Kollegen, die gehen wollen, mit ihren Abfindungen natürlich. Wer sonst noch gehen soll, und ob überhaupt noch jemand gehen muß, darüber können wir mit der Geschäftsleitung reden. Es darf keine willkürlichen Entlassungen geben. Kollegen, die beispielsweise noch bei anderen Medien arbeiten, können das hier leichter aufgeben als jemand, der keine andere Stelle hat. Aber das ist erst der übernächste Schritt. Zuerst muß es ein Darlehen geben, müssen die uns verlassen, die ohnehin gehen wollen, und muß die Zeitung in den Stand gesetzt werden, sich besser zu organisieren. Eine Zeitung kann nicht nur mit Kürzungen gerettet werden, wenn sie ihre Qualität nicht verbessert, wenn sie ihre Auflage nicht steigert.
Am Sonntag wurde der Streik beendet, was ist weiter geplant?
Wir versuchen sowohl die Gesellschaft als auch die Politik zu sensibilisieren. Während des Streiks haben wir die Parteien im Parlament aufgesucht, hauptsächlich die der Linken, aber auch PASOK und die Nea Dimokratia. Wir sind hingegangen, um ihnen zu sagen, daß hinter diesen Seiten knapp 900 Menschen stecken, deren Arbeit seit August nicht bezahlt wurde. Und daß es die Zeitung in ein, zwei Wochen vielleicht nicht mehr gibt.
Was könnten Abgeordnete denn tun?
Sie können politischen Druck auf die ausüben, die vielleicht wollen, daß die Zeitung schließt, weil sie stört. Ich kann das nicht mit absoluter Gewißheit sagen, ich kann das nur vermuten. Was mich aber am dringendsten beschäftigt, ist das Problem der Belegschaft: Fünf Monate unbezahlt und das Gespenst der Arbeitslosigkeit im Nacken!http://www.jungewelt.de/2011/12-06/025.php
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